Leben unter dem Existenzminimum in der Schweiz - was heisst das?
- zusammenschweiz

- 26. Okt.
- 4 Min. Lesezeit

Armut unter dem Existenzminimum bedeutet, dass das verfügbare Einkommen und Vermögen einer Person oder eines Haushalts unterhalb des sozialen Existenzminimums liegt und somit die grundlegende materielle Sicherheit nicht gewährleistet ist - von der sozialen Teilhabe ganz zu schweigen.
Dieses soziale Existenzminimum gemäss den Richtlinien der SKOS (Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe) definiert, welche finanziellen Mittel für ein menschenwürdiges Leben und die minimale Teilhabe am gesellschaftlichen Leben notwendig sind. Es setzt sich aus folgenden Komponenten zusammen:
• Grundbedarf für den Lebensunterhalt (GBL): Eine Pauschale für alltägliche Ausgaben wie Nahrung, Kleidung, Körperpflege, Transport, Kommunikation, Bildung und Freizeit. Beispiel (Stand 2025, gemäss SKOS-Richtlinien): CHF 1'061.- pro Monat für eine alleinstehende Person.
• Wohnkosten: Beispiel Zürich aktuell; 1‘400 Franken für Alleinstehende
• Medizinische Grundversorgung: Prämien für die obligatorische Krankenversicherung (KVG)
• Situationsbedingte Leistungen (SIL): Zusätzliche Leistungen für spezifische, notwendige Auslagen, die nicht vom Grundbedarf gedeckt sind (z.B. Kosten für zahnärztliche Behandlung).
Die Falle knapp über dem Existenzminimum
Ein besonderes Problem in der Schweiz ist die Situation von Personen und Familien, deren Einkommen (aus Lohn, Rente, Alimenten) knapp über der Schwelle zum Sozialhilfebezug oder der Berechtigung auf Ergänzungsleistungen (EL) liegt.
Knapp über der Sozialhilfe-Grenze
Dies betrifft Haushalte, die durch eine Teilzeitarbeit oder eine Vollzeitbeschäftigung mit prekärem Lohn aus der Sozialhilfe fallen. Es genügt, einen Franken mehr zu verdienen als die Obergrenze, ab der die Anspruchsberechtigung wegfällt. Und schon hat man trotz Arbeit zu Ende des Monats deutlich weniger auf dem Konto als mit Sozialhilfe. Die fehlende Unterstützung, insbesondere bei den Kosten für die Krankenkasse, den Selbstbehalt, Zahnarztkosten und weiteres treibt die Haushalte schnell wieder in die finanzielle Notlage und macht sie anfällig für Verschuldung. Ein Teufelkreis entsteht.
Knapp über der EL-Grenze
Ergänzungsleistungen stellen das gesetzliche Existenzminimum für Rentner (AHV/IV) sicher. Wer als Rentner auch nur ein wenig zu viel Einkommen hat, verliert den Anspruch auf EL. Ohne EL entfällt jedoch die Übernahme der Krankenkassenprämien, der Kosten für den Selbstbehalt, den Zahnarzt und weiterer alters- und behinderungsbedingter Ausgaben, wodurch die tatsächliche finanzielle Belastung massiv höher ausfällt. Das verfügbare Netto-Einkommen ist niedriger als bei jemandem, der Anspruch auf EL hat.
Steigende Fixkosten
Insbesondere die seit Jahren steigenden Krankenkassenprämien und Mieten stellen ein grosses Problem dar. Wer knapp über der Schwelle liegt, muss diese Fixkosten oft vollumfänglich aus dem knappen Einkommen decken, während Sozialhilfe- oder EL-Bezüger hierbei mehr Unterstützung erhalten. Dies führt zu einer verdeckten Armut der "Knapp-Drüber-Fälle", im Fachjargon „Schwelleneffekt“ genannt. Sie tauchen in der Sozialhilfestatistik nicht auf.
Durch berufliche Wiedereingliederung tiefer in die Armutsfalle? - Leider ja!
Das wichtigste Ziel jeglicher sozialer Unterstützung sollte es sein, die Eigenkompetenzen der Sozialhilfebezüger zu fördern, insbesondere im Bereich Arbeit.
Doch führt die Wiederaufnahme einer Teilzeitarbeit oder einer Vollzeitstelle im Niedriglohnsektor oft genau zum Gegenteil - der Verdienst liegt knapp über der Schwelle des Anrechts auf Sozialhilfe. Der Betroffene wird zum Working Poor, zum arbeitenden Armen, und muss deutlich unter dem sozialen Existenzminimum leben. Er sinkt noch tiefer.
Natürlich ist die Aussicht auf eine solche Lebenssituation die schlechtmöglichste Motivation für die Zurückkehr ins Arbeitsleben bzw. für den Ausstieg aus der finanziellen und sozialen Abhängigkeit von der Sozialhilfe.
Eigentlich ist damit niemandem gedient, zu allerletzt dem Steuerzahler, welcher die Sozialhilfe finanziert.
„Eigentlich ist die Sozialhilfe ein Schnäppchen, um die zu parkieren, welche niemand braucht.“ Dieser Ausspruch stammt von einem Basler FDP-Politiker, angestellt bei der UBS, der sich während der Nationalratswahlen vor gut 15 Jahren als Unterstützer armer Familien verkaufen wollte.
Für die Betroffenen bedeutet diese „Aufbewahrungstaktik“, dass sie eigentlich nie eine reele Chance auf ein würdiges Leben erhalten, so sehr sie sich auch anstrengen mögen. Es handelt sich letztlich um eine moderne Version der früheren Armenanstalten, jedoch ohne Wände.
Welche Personengruppen sind insbesondere von diesem Phänomen betroffen?
Bei der Sozialhilfe:
• Alleinerziehende und grosse Familien: Diese Haushalte tragen ein überproportional hohes Armutsrisiko, da die Kosten für Kindererziehung und Betreuung hoch sind, während die Erwerbsfähigkeit oft eingeschränkt ist.
• Personen mit niedrigen Bildungsabschlüssen: Diese arbeiten häufig in schlecht bezahlten oder prekären Arbeitsverhältnissen.
• Immigranten: Je niedriger die Schul-/Berufsbildung ist, desto schwerer fällt das Deutschlernen
Bei den Ergänzungsleistungen:
• Chronisch Kranke und Menschen mit Behinderung (Invalidität): Hohe Gesundheitskosten und eine eingeschränkte Arbeitsfähigkeit führen schnell zu finanziellen Engpässen.
• Senioren: Rentner, deren AHV/IV-Leistungen nicht ausreichen, um die Fixkosten zu decken.
Raus aus der Armut - zurück zu einem würdigen Leben - aber wie?
Mit dem Fortschreiten der neuen Technologien, insbesondere der künstlichen Intelligenz, auf dem Arbeitsmarkt wird die Zahl der Menschen zunehmen, die an den Rand gedrückt werden.
Es wird in Zukunft wohl ein Nationales Mindesteinkommen NME brauchen, welches jedem Bürger, der finanziell bedürftig ist, die Sicherung des Grundbedarfs, des Wohnens, der Gesundheitsversorgung, sowie eine würdige Teilhabe an der Gesellschaft/Wirtschaft ermöglicht. Ein nationaler Mindestlohn als flankierende Massnahme wäre ebenfalls notwendig, um mit dem NME keine Firmen versteckt zu subventionieren.
Das NME ist KEIN bedingungsloses Grundeinkommen.
Wer das Nationale Mindesteinkommen nicht erreicht, würde nach Prüfung des Grundes der Bedürftigkeit finanziell mit dem Differenzbetrag (NME minus Einkommen) unterstützt, so dass er es erreichen kann.
Zuzüglich könnten gezielte modulare Leistungen ausgerichtet werden, zum Beispiel für Menschen mit Behinderung, für Aus- und Weiterbildung, für die Kinderbetreuung (Krippe), oder zusätzliches Wohngeld für Gebiete mit hohen Wohnungsmieten wie Zürich.
Der Schwelleneffekt der arbeitenden Armen, das heisst, das Bestraftwerden für das Arbeiten, würde wegfallen. Die Motivation für die Wiederaufnahme einer Beschäftigung oder das Absolvieren einer Aus- oder Weiterbildung wäre selbsredend höher, als wenn die Perspektive „noch mehr Armut“ lautet, wie es aktuell der Fall ist.




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